Von der Erfüllung der biblischen Gebote
Die Bergpredigt ist eine Rede, die der Wanderprediger Jesus von Nazareth auf einem Berg im Norden Israels gehalten hat, als er ungefähr 30 Jahre alt war. Sie ist die wohl bekannteste Predigt Jesu und markiert den Beginn seines öffentlichen Wirkens. Darin legt er sozusagen sein Grundsatz-programm dar und stellt Regeln für das Zusammenleben auf.
Jesus ruft die Menschen dazu auf, ihre Mitmenschen zu lieben, sogar die Feinde, und allen mit Respekt zu begegnen. Er fordert sie auf, Gutes zu tun und sich gegenseitig zu helfen, vor allem den Benachteiligten und Schwächeren.
Die Bergpredigt enthält Textpassagen, die heute als Kernstücke des Christentums gelten, wie die Seligpreisungen, das Gebot der Feindesliebe, die "Goldene Regel" und das Vaterunser.
Die Worte aus der Bergpredigt Jesu legen uns nahe, dass Jesus die moralischen Hürden höher legt, so als ob er das Gesetz verschärfen will und so die Ansprüche überzeichnet. „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist…ich aber sage euch...“. Wir kennen diese rhetorische Ausprägung aus der Antike als sogenannte Agitationsrede. Verschiedene Redner hofften und beabsichtigten, mit ihren Worten Taten und Ereignisse auszulösen, also eine Multiplikation zu erwirken. Heute im Zeitalter der Massenmedien wird die Wirkung der Agitations- bzw. Reaktionsreden eher durch Zeitung, Megafon, TV, Radio oder Internet multipliziert.
Jesus macht deutlich klar: nicht erst beim Morden oder anderen schweren Verbrechen fängt das Problem an, sondern schon viel früher, wenn man den Hass auf andere aufbaut und den Gefühlen ungezügelten Raum gibt.
Das ist eine wichtige Erkenntnis, die dahintersteht. Nicht erst, wenn jemand tatsächlich zur Waffe greift oder handgreiflich zuschlägt fängt das Problem an, sondern viel früher. Die Motive, die Gedanken, die Parolen und die Geisteshaltungen sind es, die man als Wurzel des Übels erkennen muss.
Heutzutage kämpfen wir gegen rechts- und linksextreme Positionen in der Politik, weil wir uns sagen: Aus diesem Gedanken und Einstellungen werden schnell auch Taten und Handlungen, die zutiefst schädlich sind. Unsere Erfahrungen mit linken und rechten Diktaturen sprechen da Bände. Das gilt aber für alle Bereiche. Nicht erst dann, wenn wir etwas konkret tun, sondern wenn wir zulassen, dass Vorstellungen in uns Raum gewinnen, schon dann beginnt das Unheil.
Der berühmte russische Dichter Fjodor Dostojewski bezeichnet diese Vorstellungen in seinem Buch „Die Dämonen“ als böse Geister der russischen Volksmythologie, die von Lebenden Besitz ergreifen können; vor allem wenn sie untereinander geschürt werden, können sie für uns zur Hölle werden. Jesu Weisungen in der Bergpredigt sind also weniger als eine Verschärfung des Rechtes zu verstehen, oder eine engere Sicht der Gebote, sondern als ein Blick auf die Wurzel des Übels und ein Versuch, sich selbst schon im Aufkeimen der Dinge an die Hand zu nehmen. Es kann nicht darum gehen, nur äußerlich und formal ehrlich, gerecht, liebevoll oder barmherzig zu sein, im Herzen oder in den Gedanken aber dem Bösen freien Lauf zu lassen.
Es geht Jesus um eine Achtsamkeit. Er spricht zu den Menschen und will sie aufmerksam und sensibel dafür machen, wie denn eigentlich das Böse, dass sich in Taten ausdrückt, entsteht und wo es seine Wurzel hat. Und die können wir letztlich nur selbst erspüren und bei uns finden. Im Alltag finden wir ja öfter als die von Jesus genannten getanen Sünden die sogenannten Unterlassungssünden. Eine Unterlassungssünde ist eine Sünde, wenn wir etwas nicht tun, was Gottes Wort lehrt, das wir tun sollen. Hierbei handelt es sich um das Gegenteil zu bewusster und absichtlicher Sünde, oder Sünde, die aktiv begangen wird. Letztlich gab uns der Apostel Paulus eine Zusammenfassung, die erklärt, warum wir Gutes tun und die Unterlassungssünde vermeiden sollen: “Lasst uns aber im Gutestun nicht müde werden! Denn zur bestimmten Zeit werden wir ernten, wenn wir nicht ermatten.” (Galater 6,9).
Was können wir nun dagegen tun? Können wir unseren bösen Absichten etwas entgegenstellen?
Dazu möchte ich einen Witz eines bayrischen Missionars erzählen: Ein Gläubiger gesteht anlässlich einer Osterbeichte dem Priester: „Herr Pfarrer, ich finde keine Worte, denn ich habe keine Sünden!“ „Wie darf ich das verstehen, mein Sohn?“ „Die Dinge liegen sehr einfach: als Geschäftsmann muss ich gezwungenermaßen meine Partner übers Ohr hauen. Andererseits gebe ich einem Bettler manchmal ein Almosen. Die Sache hebt sich auf. Meine Frau betrüge ich, denn ich bin ja ein fescher Mann, aber sonntags schenke ich ihr öfters Rosen - hebt sich daher auf! Hin und wieder muss ich zu Notlügen greifen, aber wenn mich jemand ärgert, sage ich ihm schonungslos die Wahrheit ins Gesicht – hebt sich also auch auf! Nun Herr Pfarrer, was meinen Sie?“ „Wenn Du es genau wissen willst, mein Sohn: Der Herrgott hat Dich erschaffen, der Teufel wird Dich holen – auch das hebt sich auf!“
Als ich vor genau 60 Jahren in der neu errichteten Nachbarskirche in Christkönig als Ministrant meine kirchliche Ehrenamtskarriere begann, musste ich bereits das sogenannte Schuldenbekenntnis auf Lateinisch, das „Confiteor“ vorgebeugt auf den Stufen des Altares beten. Darin heißt es heute noch, indem wir uns auf die Brust klopfen: “ich habe gesündigt durch Gedanken, Worte und Werke, mea culpa, mea culpa mea maximal culpa“.
Vor ca. zwei Jahrzehnten habe ich beim Altbischof Johann Weber einen Einkehrtag besucht, wo wir diesem dreifachen Versündigungsweg etwas entgegen zu setzen versucht haben. Mein Vorschlag lautete damals, dass wir von hinten her agieren müssten, also zuerst mit guten Werken den bösen entgegensteuern, dann darüber auch immer wieder mit Worten diese anpreisen und propagieren, um dann letztlich damit auch unsere innersten Intentionen geraderücken zu können. Vielleicht ist auch der karitative bzw. vinzentinische Einsatz in der Pfarre der Weg einer mit „Ja, ja und nicht nein, nein“ geredeten Tat, wie es zum Schluss des heutigen Evangeliums gefordert wird. Amen
Erwin Derler