Seid heilig!
Kennen Sie Ihre Hausordnung ganz genau (falls Sie einer Wohnung leben)? Wie vertraut sind Sie mit den Regeln im Straßenverkehr? Erinnern Sie sich noch an die Schulordnung? „Ordnung ist das halbe Leben“ besagt ein Sprichwort. Aber ich will Sie nicht indiskret nach Ihrer Ordnung zuhause fragen. Wir wollen uns heute mit den Regeln und Vorschriften Gottes befassen – vielleicht kein lustiges Thema, aber hoffentlich ein ergiebiges, das Sie gut in die kommende Zeit begleiten soll.
Schon der Einstieg in die heutige Lesung war steil: Seid heilig! heißt es da. Leider haben wir nur eine abgeschnittene Version aus dem 19. Kapitel des Buches Levitikus gehört: Lesen Sie zuhause nach, was uns da heute entgangen ist.
Adonaj fordert sein Volk Israel zur Heiligkeit auf, und der Text ist auch für uns heute von Bedeutung. Manche von Ihnen schalten bei so einer Aufforderung vielleicht gleich ab: ich und heilig? Überfordert uns Gott da nicht total? Ich denke, es lohnt sich, da genauer hinzuschauen: Gott begründet die Aufforderung mit der Aussage: „denn ich, Adonaj, euer Gott bin heilig.“ Für viele Menschen ist das Heilige etwas, wonach wir uns einerseits sehnen, das wir aber andererseits nicht erreichen können, weil es fern und fremd ist. Das „Heilige“ steht oft auch im Gegensatz zu unserem Alltag, zum Leben vieler Menschen auf der Erde. Und das Heilige wird oft in den Schmutz gezogen, wenn wir z.B. an die Missbrauchsfälle in der Kirche denken. Was bleibt vom Heiligen? Für mich bleibt es ein Anspruch. Wenn Gott heilig ist, woran ich nicht zweifle, und er möchte, dass auch wir heilig sind, dann sind wir dadurch mit ihm verbunden. Im Buch Levitikus gibt es viele Vorschriften, teilweise kultische aber auch für den Alltag, die das Zusammenleben regeln. Und bereits hier finden wir das Gebot: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst, oder: er ist wie du. Da kommen dann wieder die Regeln des guten Zusammenlebens ins Spiel oder Orientierungshilfen für ein Leben, mit dem ich anderen ihre Lebensqualität nicht beschneide: Stichwort Klimawandel und die Sorge um unser gemeinsames Haus, die Erde.
Und dabei sind wir nicht allein. Gott selbst ist mit uns unterwegs. Im Psalm 103 haben wir ein Loblied auf das Wesen Gottes gehört, auf seinen heiligen Namen, auf ihn, der für uns da ist. Die Aufforderung „Lobe (oder preise, wie es in der neuen Übersetzung heißt) den Herrn meine Seele gilt uns als ganzem Menschen. Die Seele ist im Hebräischen eigentlich die „Kehle“ – ein wichtiges Organ, mit dem wir atmen, essen, trinken, sprechen und kann mit „Leben“ übersetzt werden. Unser ganzes Leben soll also unseren Gott loben und preisen. Er ist immer für uns da, er ist bereit, alles wegzunehmen, was uns von ihm trennt. Er ist wie ein Vater, wie eine Mutter für uns. Eltern stellen Regeln auf, meist ist es zum Vorteil der Kinder, wenn sie sie befolgen. So ist es auch mit Gottes Geboten: sie wollen uns nicht einschränken, sondern zu einem guten Leben in Gemeinschaft befreien, uns Halt und Orientierung im Leben geben, wenn wir nicht weiterwissen. Gott kennt auch meine Schwäche. Und trotzdem fordert er uns heraus zu Nächsten- und sogar Feindesliebe, denn er traut uns zu, den Kreislauf von Gewalt und Terror in der Welt zu durchbrechen. Er traut uns zu, dass wir nach Heiligkeit streben: jede und jeder von uns mit seinen/ihren besonderen Fähigkeiten und Talenten. Zum Lob Gottes können wir selbst werden, wenn wir uns in Kirche und Gesellschaft einbringen, wenn wir unsere Stimme für die Armen erheben, wenn wir uns stark machen für das Gute in der Welt, wenn wir Gottes Weisung als Leitplanken in unserem Leben annehmen. Ob die Richtung stimmt, erkennen wir an der Reaktion anderer Menschen und mit unserem Gewissen, das uns erkennen lässt, ob die Welt durch mich ein Stück heiler wird. Amen.
Elisabeth Fritzl